Pia Heckes
Peter Schwingen eine Einführung in das Werk
und zugleich ein Vorwort
Mit großer Freude lege ich eine neue, erweiterte Dokumentation über Leben und Werk Peter Schwingens vor.
Diese erweiterte Dokumentation sei dem Andenken Dr. Horst Heidermanns gewidmet, der im April 2018 nach einer schweren Erkrankung verstorben ist. Sein Text wurde weitgehend unverändert übernommen, nur das Werkverzeichnis, an dem er hingebungsvoll über mehr als zwei Jahrzehnte gearbeitet hat, wurde wo nötig korrigiert und ergänzt.
Mehr als zwanzig Jahre sind vergangen, seit wir unser erstes Buch über Schwingen (Pia Heckes/Horst Heidermann: Peter Schwingen, Leben und Werk, Bonn 1995) veröffentlicht haben. Dreiundzwanzig Jahre Forschung, das Glück des Fleißigen, Trouvaillen, Zufälle, akribisches Archivalienstudium und das geduldige Zusammenfügen zahlreicher hilfreicher Hinweise, die gleichsam Mosaiksteinchen waren, haben viele neue Erkenntnisse gebracht.
Unter den kundigen Händen Horst Heidermanns war die zweite Fassung der Dokumentation im Jahr 2006 entstanden. Die dritte Fassung, die jetzt im Mai 2018 vorgelegt wird, ist um einige neu aufgetauchte Gemälde angewachsen, die weitere Rückschlüsse auf das Leben und Werk des Malers zulassen, der ja nur 50 Jahre alt geworden ist. Sein Werk entstand zwischen etwa 1830 und 1862.
Es ist eine Schwingen-Monographie, die um Beträchtliches angewachsen ist und unser Wissen über den Maler aus Muffendorf erheblich erweitert. Daher wird der Leser bei genauem Studium auch um deutliche Nuancen veränderte Einschätzungen der Autoren vorfinden, die teilweise sich absetzen vom Text der ersten Dokumentation, die 1995 erschien. Denn dreiundzwanzig Jahre Forschung bedeuten eben einen Wissenszuwachs, der sich ablesen lässt.
Walter Cohen kannte aus eigener Anschauung etwa 20 Bilder Schwingens, Walter Holzhausen hatte die Möglichkeit, 40 Bilder in Augenschein zu nehmen. Wir kennen heute von insgesamt 151 Bildern Schwingens etwa 100 aus direkter Anschauung oder durch Fotos. Dies lässt eine Neubewertung notwendig und folgerichtig erscheinen. Wir gehen davon aus, dass das Gesamtwerk Schwingens damit aber nicht erschöpft ist und erwarten auch für die Zukunft weitere „Zufallsfunde".
Das heute bekannte Werk des Malers ist weitaus größer als wir dies vermutet und lange Zeit auch angenommen haben. Die Spannweite seiner Themen ist größer geworden, die politische Dimension, die Eingebundenheit in die gesellschaftlichen Bedingungen rund um die 1848er Revolution wird sichtbarer. Und es wird deutlich, dass Schwingen keinesfalls ein „unpolitischer" oder gar den Verhältnissen seiner Zeit gegenüber unsensibler Künstler gewesen ist. Das Gegenteil wird diese Dokumentation belegen.
Peter Schwingen ist zu lange Zeit als ein zwar interessanter aber in erster Linie doch regional bedeutender Maler gesehen worden. Begünstigt wurde diese Einschätzung durch sein bisher absolut unzureichend dokumentiertes Leben sowie eine, vielfach nur auf literarische Quellen sich stützende Forschung über den Verbleib eines großen Teiles seines Werkes. Horst Heidermann hat die Rezeptionsgeschichte gründlich aufgearbeitet. Unsre Studien setzen da ein, wo Cohen und Holzhausen, den Zeitumständen geschuldet, aufgehört haben. Neue technische Möglichkeiten, wie das Internet, bieten vielfältige Informationen und tragen auch zur Verbreitung des Wissens über Schwingen bei.
In Peter Schwingens Werk vereinen sich zwei große Themen, die die Düsseldorfer Malerschule beherrschten: Zum einen sind es die Porträts von Zeitgenossen, vor allem Industrieller aus dem Tal der Wupper, zum anderen - und dies scheint mir das eigentlich Bedeutende zu sein - wendet sich Schwingen erst gar nicht dem oftmals falschen Pathos der akademischen Malerei seiner Zeit zu; sondern er malt Szenen des einfachen bäuerlichen und kleinbürgerlichen Lebens, die so realistisch wirken, als ob sie aus seiner Erinnerung stammten.
Mit diesen Genrebildern, die zum Überzeugendsten gehören, was die Düsseldorfer Maler der Zeit hervorgebracht haben, reflektiert er liebevoll, bisweilen auch ironisch, das dörfliche Leben mit seinen deftigen Bräuchen. Das „Schießen um ein fettes Schwein" oder „Der Gewinn des großen Loses" schildern gleichermaßen ein harmlos dörfliches Vergnügen wie auch die sicher oftmals herbeigesehnte Möglichkeit, durch den Wink des Schicksals reich zu werden einmal nicht dank mühevoller Arbeit den verdienten Lohn zu erhalten, sondern reiche Gaben gleichsam von einer Schicksalsgöttin zugeworfen zu bekommen. Es ist der alte Traum der einfachen Leute auf dem Land, zu denen Schwingen selbst gehört hatte. Schwingen kam aus kleinsten Verhältnissen. Offensichtlich schämte er sich keineswegs seines Herkommens, sondern er erkannte, dass in diesen Themen viel Neues lag. Die kritische Darstellung einer „Pfändung“ (WVZ 81)), sein Bild war das erste im Rheinland mit diesem Thema, zeigt die Verelendung der Landbevölkerung zu Beginn der Industrialisierung. Es ist Beleg für die These, dass die Düsseldorfer Maler sehr genau die Strömungen ihrer Zeit aufnahmen und in Bildern verarbeiteten. Es wäre sicher falsch, in diesen Malern deshalb „Marxisten“ sehen zu wollen.1 Sie eroberten sich neue Bildthemen und damit eine realistische Bildsprache und sie beschäftigte sich im weitesten Sinne mit der Frage nach der sozialen Gerechtigkeit. Vielleicht ist gerade dies das Besondere an den „rheinischen" Malern der Düsseldorfer Malerschule? Eine Maxime des rheinischen Lebens heißt: Leben und leben lassen. Insofern nehmen gerade auch die Genrebilder Schwingens einen ganz besonderen Platz ein. Das Rheinland im Spannungsfeld zwischen Französischer Revolution und dem kurkölnischen Katholizismus hat ein besonderes Bürgertum hervorgebracht. Ein Bürgertum für das auch immer die soziale Frage eine wesentliche Rolle gespielt hat, das kein Großbürgertum mit Dünkel war, sondern ein selbstbewusstes Bürgertum, das bei allen Freizügigkeiten auch immer um die Verantwortung dem anderen gegenüber wusste. Das Schwingen sich so selbstbewußt diesen Themen näherte und ein selbständiges Oevre schuf, stellt eine für die Düsseldorfer Adademie erstaunliche emanzipatorische Leistung dar. In der Ablehung des „klassisch Akademischen" lag etwas von Aufbruch und Wandel. Es ist nicht die vordergründige Idylle. Es ist der Mut, sich dem Alltäglichem zuzuwenden und das Überzeitliche darin darzustellen.
Die fortschreitende Politisierung des Lebens in den Jahren zwischen 1830 und 1848 lässt sich auch an den Bildzeugnissen ablesen. Schwingens Genre-Bilder weisen vordergründig nicht über ihre Zeit hinaus. Sie weisen keine der damaligen Kunstkritik so wichtigen Züge von überzeitlichen Normen und Gültigkeit auf. Schwingen verarbeitet keine „klassischen" Themen. Ein Qualitätsmerkmal tritt aber umso deutlicher in den Vordergrund: die Glaubwürdigkeit. Seine Figuren sind weder hölzern noch von falschem Pathos beseelt.
Im Juni 2005 ist ein neues Bild bekannt geworden. Es ist mit „Schwingen pinx.“ signiert und trägt den Titel „Hochzeitsgespräch beim Dorfpfarrer“ (WVZ 148)). Es fällt nicht nur durch sein großes Format, sondern auch durch die bei Schwingen ungewöhnliche bayerische Tracht und die ebenso ungewöhnliche Signatur auf. Ein Werk Schwingens mit ähnlichem oder gleichem Inhalt ist bislang nicht bekannt. Andererseits verfügt das „Hochzeitsgespräch“ über eine zweite oder gar dritte Bedeutungsebene, wie wir das oft bei Schwingen vorfinden, und enthält in Aufbau und Details zahlreiche Elemente der Düsseldorfer Biedermeiermalerei.
Ich fand schnell heraus, dass es ein bis ins Einzelne übereinstimmendes Gemälde des Malers Peter Baumgartner (1834-1911) „Das Brautverhör“ gibt, das dieser zwischen 1866 und 1871 (die Datierungen weichen voreinander ab) in München gemalt hat. Dieses Werk ist wiederholt ab 1870 in der Literatur verzeichnet. 2004 wurde es im Kunsthandel angeboten.2 Als Genremaler wurde Baumgartner schon seit 1857 vor allem durch seine Szenen dörflichen Lebens und eine kritische Betrachtung der Rolle der Pfarrer und Mönche bekannt.
Spielen wir einmal zwei Möglichkeiten durch:
Die eine: Das Bild ist von Schwingen und Baumgartner ist der Nachahmer. Zahlreiche kleine Details vom Hund zu Füßen des Pfarrers, über den Regenschirm, die lauschen Figur im Türrahmen, bis hin zur Landkarte kennen wir aus anderen Bildern Schwingens. Auch der Bildaufbau mit dem Flur rechts erinnert an ähnlichen Bildaufbau bei Schwingen. Jedenfalls handelt es sich bei dem Bild um eine pikante Szene, da die Braut vielleicht schwanger sein könnte. Einen dezenten Hinweis darauf liefert der Maler durch die offensichtlich schwangere Madonna in Mandorla, die unterhalb vom Kruzifix auf die Mariengläubigkeit der Landbevölkerung hinweist. Das Gesicht der jungen Frau ist äußerst feinfühlend und mit dem für Schwingen so typischen zarten Strahlen des Inkarnats gemalt. Sie scheint sich unsicher darüber, was sie dem Pfarrer antworten soll, sie nestelt verlegen an den Schürzenbändern, ist aber gleichzeitig der strahlende Mittelpunkt des Bildes. Auch die „Pfändung" Schwingens war ja das erste Bild im Rheinland mit diesem Thema, was es immerhin möglich erscheinen lässt, dass Schwingen auch hier der „Erfinder" des Bildmotivs eines „Brautgesprächs" war, das später so erfolgreich von Baumgartner aufgenommen worden sein könnte.
Die andere: Das Bild ist nicht von Schwingen sondern von Baumgartner und von diesem eigenhändig oder durch fremde Hand kopiert worden. Einzelne Aspekte der Düsseldorfer Malerei findet man auch in zahlreichen anderen Bildern Baumgartners. Der Bildaufbau ist (wie bei Schwingen) nach dem Vorbild holländischer Interieurs entwickelt. Die Signatur ist später, als man im Rheinland Schwingen gut, Baumgartner aber schlecht verkaufen konnte, hinzugefügt worden. Die „Fälscher“ waren möglicherweise selbst überzeugt, ein Bild Schwingens vor sich zu haben. So kam es zu der ungewöhnlichen Signatur, die die Signierenden nicht gerade als Kenner ausweist. Ein „pinx.“ oder eine verwandte Form ist bei Schwingen sonst nicht zu finden. Zudem ist die Signatur in Druckbuchstaben und nicht wie bei Schwingen üblich in mit dem Pinsel in Schreibschrift aufgetragen. Szenen aus dem bayerischen Bauernleben mit Pfarrer oder Mönch sind bei Baumgartner in großer Zahl zu finden, bei Schwingen aber nicht. Doch will uns schon in der Farbkopie das Grün und Rot als sehr bunt erscheinen, jedenfalls nicht in der bei Schwingen bekannten Nuancierung.
Im Jahr 2016 konnte ich das Gemälde in Augenschein nehmen und feststellen, daß die ursprüngliche Signatur entfernt bzw. übermalt worden war und die Schwingen-Signatur offenkundig gefälscht wurde.
Zurück zur Frage nach den großen Vorbildern und Zeitgenossen der „Düsseldorfer". Die Düsseldorfer Maler müssen sich an einem großen Namen messen lassen: Gustave Courbet ein Zeitgenosse Schwingens. Nur ihm gelang es, eine Realismus-Diskussion zu entfachen, die ihre Auswirkungen bis weit in das 20. Jahrhundert hinein hatte. Courbet hatte es gewagt, den Lebensalltag der kleinen Leute mit einer bis dahin nie da gewesenen Offenheit bis hin zur Brutalität zu zeigen. Auch er kam, wie Schwingen, aus kleinen Verhältnissen, und ist daher der geradezu ideale Gegenpart. Während Schwingen in allem noch die ländliche Idylle liebevoll ausformuliert, fehlt jede Spur von Romantik und Idylle in Courbets Bildern. Seine „Steineklopfer" konfrontieren das Bürgertum mit vollkommen neuen Bildthemen. Seine Bilder wirken, als seien sie unter freiem Himmel gemalt, als sei der Maler direkt Zeuge der Szene. Ziel ist es, das Bild so nahe wie möglich an die Realität heranzubringen; die Pleinair-Malerei ist die theoretische Vorwegnahme der etwa zeitgleich entwickelten Fotografie. Diese ist ein Medium der Unmittelbarkeit, der unbedingten Wahrheit: So ist eine Situation gewesen, zwar nur für einen Moment, aber doch der Wirklichkeit entnommen. Courbets Anspruch war der gleiche. Die Kunstgeschichte prägte den Begriff vom „sozialistischen Realismus", der heute meist verengt für die propagandistische Staatskunst der DDR verwendet wird.
Die Düsseldorfer Maler waren dagegen noch mehr in der Tradition der akademischen Malerei verhaftet. Vergleicht man die beiden Schulen, die „Schule von Barbizon", wo sich die ersten „Pleinair"-Maler zusammen gefunden hatten, und die Düsseldorfer Akademie, so erweisen sich die Düsseldorfer als die wesentlich Konservativeren. In Düsseldorf blieb man lieber im Atelier, statt hinaus in die Natur zu ziehen und unter freiem Himmel zu malen. Obwohl die Akademie von einer rheinischen Provinzialität geprägt war, lässt sich aber auch hier die Sehnsucht nach der genauen Schilderung des Lebens erkennen. So wie sich die französischen Maler der Schule von Barbizon dem Tageslicht mit seinen wechselnden Stimmungen aussetzten und dieses zum Stilmittel für ihre Bilder erhoben, setzten sich die Düsseldorfer Maler mit den Geschichten und Ereignissen ihrer näheren Umgebung und in der Eifel auseinander und fomulierten Bilder, die sich vom akademischen Ideal weit entfernten. Arnold Hauser, Autor des Standardwerkes „Sozialgeschichte der Kunst und Literatur" (1953), formulierte dies so: „Prosa des ländlichen Lebens statt Ideallandschaft heroischer Natur".
Die „Prosa", wie Hauser sie versteht, findet sich in Schwingens Bildern geradezu ideal fokussiert: Sein „Mädchen am Brunnen" (WVZ 141), „Die Kinder pflegen ihren kranken Hund" (WVZ 71) und „Kind mit Taube, Huhn und Katze“ (WVZ 107) stehen beispielhaft für diese Kunst der Düsseldorfer Malerschule, die sich gegen den erklärten Willen ihres damaligen Direktors Wilhelm von Schadow, mehr und mehr der Darstellung der sozialen Wirklichkeit widmete und sich von den großen Themen der Historie und der Ideenmalerei abwandte. Die Maler der Akademie emanzipierten sich so vom Diktat ihrer eigenen Schule. Der Vormärz kündigte sich auch in der Malerei an.
Offensichtlich kamen zu Beginn der 1830er Jahre mehrere Zeitströmungen den Düsseldorfer Malern zugute: Einerseits ihre Neigung, sich Bildthemen zu widmen, die aus der scheinbar alltäglichen Anschauung stammten, andererseits ein Publikum, das offenbar nach solchen Bildern verlangte: „ ... die liberalen Unternehmer, die auf Handelsreisen Beziehungen nach Frankreich und Belgien entwickelten und dabei in Berührung mit der dort vollzogenen bürgerlichen Revolution und den in diesem Zusammenhang entstandenen Werken der realistischen Kunst kamen, forderten die Maler geradezu auf, die Wirklichkeit darzustellen."3 Das Bürgertum des Vormärz und der nachrevolutionären Zeit schuf sich auf diese Art und Weise eine Kunst, die den eigenen Vorstellungen von Leben und Arbeit, Kunst und Kultur entsprach. Zum einen entstand eine große Anzahl von Industriellen-Porträts, mit denen sich die Gründerväter des wirtschaftlichen Aufstiegs Deutschlands selbst auf eine bescheidene Art feierten, zum anderen entstand mit den bürgerlichen Kunstvereinen ein Kunsthandelsnetz, das den Künstlern auch die Abnahme realistischer Bilder sicherte. Schwingens malerisches Werk ordnet sich in dieses Spannungsfeld ein.
Schwingen ist zunächst ein Außenseiter im Kreis der Düsseldorfer Maler gewesen: Ein Kind vom Land, das zwar des Lesens und Schreibens kundig war, ansonsten aber eines Stipendiums bedurfte, um sich in der ersten Zeit der Akademieausbildung über Wasser halten zu können. Kaum ist er sich seiner Leistungen sicher, scheint ihn der Übermut gepackt zu haben und er verwirkt durch mangelnde Teilnahme am Unterricht diese pekuniäre Sicherheit. Mangelndes Selbstbewusstsein kann keine herausragende Eigenschaft dieses jungen Mannes gewesen sein.
Schwingens „Brotkunst", seine Porträts zeitgenössischer Industrieller und ihrer Familien, haben den größten Anteil am Gesamtwerk. Hier spiegelt sich allerdings mit großer Deutlichkeit eine unstete Haltung Schwingens, dem nicht jedes Porträt mit gleicher Qualität zu einem guten Bild gelang. Offensichtlich war er starken Schwankungen unterlegen, die sich in den Bildern ausprägen. Möglicherweise spielte dabei aber auch der vereinbarte Preis für das Konterfei eine Rolle?
Die „Dame mit Spitzenhäubchen" (WVZ 128) gehört zu Schwingens bedeutenden Werken der Bildnismalerei. Eine ältere Dame mit strengen Zügen, deren Gesicht nicht einem Idealtypus der Zeit entspricht, sondern ganz individuell aufgefasst ist. Hier bemühte sich Schwingen um Nähe, um ein lebendig wirkendes Inkarnat, um die genaue Erfassung der Physiognomie. Die Liebe zum Detail spricht aus der feinen Ausformulierung des zarten Spitzenhäubchens und des feinen Kragens. Kleid und Hintergrund sind dunkel gehalten, der Kopf leuchtet aus dem Bild heraus. Schwingen schuf hier ein Bildnis mit großer Authentizität. Bereits in diesem ersten Beispiel wird deutlich, dass Schwingen sich besonders um eine Qualität der Malerei bemühte: er strebte Wahrhaftigkeit an. Nicht nur eine möglichst genaue Abbildung war das Ziel, sondern auch das Erfassen der ganzen Persönlichkeit. Die Dame mit Spitzenhäubchen, vielleicht war es die Mutter Eduard Bendemanns, glaubt man recht genau zu kennen. Eine selbstbewusste, strenge Frau, deren Blick zugleich Neugier auf die Welt wie einen gewissen Grad an Abgeklärtheit enthält. Die schmalen Lippen mit den hochgezogenen Mundwinkeln verraten eine leichte Skepsis. Schwingen schuf hier ein einfühlsames Werk, das sich durchaus mit den besten Porträts der Biedermeierzeit messen kann.
Mit dem Porträt von Schwingens erster Frau, Magdalene Philippine, haben wir ein für das Biedermeier typisches Bildnis einer jungen Frau mit rosigen Wangen und großen dunklen Augen (WVZ 41 und 42)). Tracht und Frisur entsprechen der städtischen Mode der Zeit und unterstreichen auch hier die Wirkung des Gesichts. Auffallend sind der große goldene Ohrschmuck und die goldene Nadel, die auf einen gediegenen Wohlstand des jungen Ehepaares Schwingen hinweisen. Der Maler hat sich offensichtlich zu dieser Zeit bereits in die bürgerliche Schicht Düsseldorfs emporgearbeitet.
Zu seinem bescheidenen sozialen Aufstieg verhalfen ihm die Porträtaufträge, die ihn in das frühindustrielle prosperierende Tal der Wupper führten. Die späten 1830er Jahre brachten zahlreiche Aufträge und Peter Schwingen wurde so ein gut beschäftigter Maler. Schwingen füllte wohl eine Lücke aus, die der Tod des Malers Heinrich Christoph Kolbe im Jahr 1836 gerissen hatte. Kolbe war ein beliebter Bildnismaler gewesen, der hauptsächlich für Familien im Bergischen Land gearbeitet hatte. Schon 1837, ein Jahr nach Kolbes Tod, malte Peter Schwingen das Ehepaar Friedrich August und Eleonore Mathilde de Weerth. Zwei eindrucksvolle Brustbilder, deren Verbleib leider ungeklärt ist (WVZ 29 und 30).
Im gleichen Zeitraum malte Schwingen seinen Schwager, den Kleidermacher Josef Schmitz (WVZ 6)). Schwingen ist bemüht, seinem Schwager mit diesem kleinen Bildnis einen Dienst zu erweisen. Weste und Gehrock sind fein ausgemalt und zeigen die hohe Handwerkskunst des Schneiders, der mit diesem Bild auch gleichzeitig für sich werben kann. Weitere kleine Bilder des gleichen Typs und wohl auch aus der Familie Schmitz sind erst in jüngster Zeit wieder aufgetaucht.
Zu den schönsten Bildnissen, die Schwingen schuf, gehört zweifellos das Porträt der Prinzessin Luise von Preußen aus dem Jahr 1840 (WVZ 60). Ob es sich bei diesem Werk um eine Auftragsarbeit oder um ein freies Werk handelt, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Die besondere Qualität des Bildes mag auch darin begründet sein, dass es sich um eine Kopie nach Schadow handelt. Es ist sehr fein ausgearbeitet; besonders den Kopfschmuck, ein Samtbarett mit weißen Federn, hat Schwingen mit größter Genauigkeit dargestellt. Der Mantel mit dem weit geschnittenen Pelzkragen bildet gemeinsam mit der Stoffbespannung einen dunklen Hintergrund, aus dem das zarte Gesicht der Prinzessin hervorleuchtet. Auch dieses Bildnis wird beherrscht von den individuellen Zügen der Dargestellten, wobei das Gesicht leicht idealisiert wirkt. Ganz im Gegensatz zu einem etwas später entstandenen Porträt einer Godesberger Bürgerin, der Großmutter Schwingens (WVZ 70). Aus diesem Porträt spricht die lebendige Anschauung, die Liebe zur Großmutter Nicolai. Jede Falte des Gesichts ist dargestellt, ein gütiges Lächeln und wache, leuchtende Augen charakterisieren diese alte Frau. Schultertuch und Spitzenhäubchen sind mit großzügigen Strichen ausgeführt, sind wenig wichtige Details, die den Maler nicht interessieren. Hier fasziniert das vom Alter gezeichnete Gesicht. Hier nimmt er sich die Freiheit, das Unwichtige nur flüchtig darzustellen eine kleine Emanzipation von der biedermeierlichen Feinmalerei.
Ein weiteres Porträt aus Schwingens Familie treffen wir im Jahr 1850. Es stellt seine zweite Frau, Sophia geborene Zecher, dar (WVZ 100). Schwingen findet hier zu einer Verbindung von Porträt und seinen früheren Genrebildern. Er stellt seine Frau als strickende Hausfrau dar. Ein Motiv das ihn schon häufiger zu Bilder angeregt hatte. Das Bildnis der jungen Frau zeigt eine Arbeit des späten gereiften Künstlers. Die weichen Züge des Gesichts und die rosigen Wangen sprechen von einer tiefen Zuneigung und es scheint wieder etwas Ruhe und Zuversicht in das Leben des alternden Malers einzukehren.
Zu den herausragenden Arbeiten Schwingens gehören die Bilder, die Porträt und Interieur verbinden. Diese Werke gehören zum Besten, was diese Epohe der biederlichen Porträtmalerei hervorbrachte. Schwingen stellt seine Auftraggeber in ihrer häuslichen Umgebung dar. Er erfasste mit analytischem Blick die Persönlichkeit auch durch die Dinge, mit denen sich die Zeitgenossen umgaben. Gleich beim ersten Bild gelang dies mit erstaunlicher Präzision und Kunstfertigkeit. Das Bildnis Peter de Weerths aus dem Jahr 1838 (WVZ 47) zeigt einen weißhaarigen alten Herrn, der am Fenster auf einer Polsterbank sitzt, und offenbar eben beim Lesen innehält, um den Maler anzublicken. In der einen Hand ein Buch in der anderen die Brille haltend, liegen vor ihm auf dem Tisch zahlreiche Bücher und Manuskripte aufgeschlagen. Die „Elberfelder Zeitung“ fehlt ebenfalls nicht. Ein Briefumschlag auf dem Tisch, der an den Porträtierten adressiert ist, gibt Auskunft, um wen es sich handelt. Auch auf der Bank und auf dem Boden liegen zwischen Aktendeckeln offenbar wichtige Schriftstücke. Um eine „Mußestunde des Geschäftsmannes“, wie der Untertitel des Bildes oft genannt wird, handelt es sich aber keineswegs. Das Tintenfass ist geöffnet und die Feder liegt griffbereit daneben auf einem kleinen Gestell. Im Hintergrund an der Wand hängen eine Karte von Spanien sowie ein Kalender. Alles Hinweise auf die stete Geschäftstätigkeit Peter de Weerths. Eine persönliche Note erhält das Bild durch den kleinen Hund, der vertrauensvoll seinen Kopf dem Herrn zugewandt auf die Bank gelegt hat und auf eine streichelnde Hand zu warten scheint. Den Hund interessiert der Maler nicht, demonstrativ hat er dem Eindringling in die kleine Welt des Arbeitszimmers den Rücken zugewandt. Die während des Biedermeier so beliebten Fensterbilder hinterließen auch im Werk Schwingens ihre Spuren. Aus dem zweiflügeligen Fenster blickt man auf ein schräg gegenüber liegendes Haus, das mit Schieferplatten verkleidet ist und dunkelgrüne Fensterläden hat. Der Betrachter weiß sofort: Hier ist man im Bergischen. So schuf Schwingen ein intimes Bild, das den Menschen inmitten seines Lebens und Arbeitsumfeldes zeigt.
Von ähnlicher Qualität ist das Bildnis des Johann Friedrich Wülfing (WVZ 62-69) aus der Zeit um 1840. Dem Vorgängerbild bis ins Detail entsprechend aufgebaut, ist dieses Bild jedoch insgesamt privater. Die Möblierung ist die eines gediegenen Wohnraumes wohlhabender Leute. Auch dieses Bild zeigt, wie oft bei Schwingen, einen kleinen Hund, der seinem Herren zugetan ist und dessen Stammplatz sich offensichtlich unter dem Tisch befindet, denn da steht auch die Futterschüssel. Aus dem Fenster blickend sieht der Betrachter ein verschiefertes Haus mit grünen Läden, so dass er auch hier sicher sein kann, im Bergischen zu sein. Die Figur Wülfings ist gegenüber dem Interieur zurückhaltend, mehr in den Hintergrund getreten. Das schmückende Beiwerk, das „Dekorum" hat einen hohen Stellenwert. Schwingens Freude am erzählenden Moment, am Erfassen von in sich geschlossenen Szenen wird deutlich. Sein Ziel ist es, den Menschen in seiner Umgebung darzustellen, um ihm gerecht zu werden.
Im Jahr 1843 erhält er daraufhin auch den Auftrag, Wülfings Schwester Gertrud de Weerth (WVZ 75) posthum zu malen. Die bereits 1829 verstorbene Frau Peter de Weerths darzustellen, war sicherlich keine leichte Aufgabe. Dennoch erledigt Schwingen dies mit Bravour. Die ältere Frau sitzt mit einem schwarzen Kleid und weißen Spitzenhäubchen bekleidet am Fenster und hält in der Hand einen weißen Strickstrumpf. Auf dem Tisch neben sich ein Körbchen mit Wolle und Nähutensilien, im Hintergrund ein Fenster und an der Wand eine edle Nußbaum-Kommode mit Schubladen. Besonderer Blickfang sind die beiden Blumenstöcke rechts und links neben der Uhr. Blühende Kamelien waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders beliebt, sie geben dem Bild Wärme und lenken ab von der recht strengen übrigen Darstellung.
Schwingen scheint mit dieser Art des Porträts zu reüssieren. So schuf er 1846 das Porträt der Familie von Eynern, wobei die Eltern Eynern wohl auch posthum dargestellt wurden (WVZ 83). Bildaufbau und die ganze Auffassung sind hier den vorhergehenden Bildern wiederum sehr ähnlich, nur die Tochter Nanette, die eine Häkelarbeit in den Händen hält, scheint nach dem Leben gemalt. Dieserart Erinnerungsbilder trugen wohl zu Schwingens Ruhm als Bildnismaler bei.
Im Jahr 1844 bekam er den Auftrag, die Familie Keuchen-Werlé darzustellen (WVZ 77). Schwingen bleibt bei dem bisher so erfolgreich angewandten Bildaufbau, fügt wiederum einen kleinen Hund hinzu und charakterisiert die Familie durch drei Bilder an den Wänden des Zimmers als kunstsinnig. Auch hier wieder der Blick auf bergische Häuser. Die Familie scheint wie zur Kaffeestunde versammelt, doch nicht zufällig, sondern mit dem Bewusstsein, dem Künstler Modell für ein bedeutendes Familienbild zu sitzen. Schwingens Gemälde nimmt schon einiges dessen voraus, was die frühe Porträtfotografie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts uns heute so interessant macht. Maler und Fotografen standen sich kaum nach in der Intention, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen und eine authentische Momentaufnahme schaffen zu können. Es ist der analytische Blick, den die Maler des Biedermeiers die späteren Fotografen lehrten. Es ist der Blick, der sich bemüht, hinter die Kulissen zu schauen, ohne dabei allerdings die gesellschaftlichen und persönlichen Tabus zu verletzen. Gekennzeichnet von großer Genauigkeit aber nicht jener Detailbesessenheit, wie sie das späte 19. Jahrhundert hervorgebracht hat, erlebten gerade die Düsseldorfer Maler, wie es am Beispiel Schwingens deutlich wird, die sozialen Gegensätze mit eindringlicher Schärfe. Schwingen ist durch seine Herkunft prädestiniert, den Gegensatz zwischen arm und reich besonders deutlich zu spüren. Einerseits reist er durch das Tal der Wupper und porträtiert die prosperierende frühindustrielle Gesellschaft, andererseits kennt er die ärmlichen Verhältnisse auf dem Dorf und hat selbst oft materielle Sorgen, die sein Leben in Düsseldorf überschatten.
Ein besonders schönes Familienbildnis schuf Schwingen im Jahr 1854. Es stellt wohl drei Generationen einer Familie dar, die Großmutter offensichtlich erkrankt und ihr Leben scheint sich dem Ende zuzuneigen (WVZ 112). Versorgt von Sohn und Schwiegertochter, die sich liebevoll um die Kranke bemühen, scheint sie der Mittelpunkt der Familie zu sein. Hier hat Schwingen wieder ein Erinnerungsbild zu schaffen, das den Tod der alten Dame ahnen lässt. Ein Bild voller Intimität und größter Glaubhaftigkeit. Schwingen zeigt die Sorge der Familie und macht dem Betrachter klar, dass ein Leben zu Ende geht. Ein Bild ohne falsches Pathos, das man mit Recht als ein reifes Spätwerk betrachten kann.
Ein Gemälde, das Schwingens Interieur-Porträts möglicherweise anregte, ist das Bild „Frau am Fenster" von 1837 (WVZ 43). Als Studie nicht bis ins letzte Detail ausgemalt, ist dieses Bild voller Harmonie und Atmosphäre. Es zeigt eine stickende Frau am Fenster. Die Bilder an den Wänden und die dem Betrachter geradezu provokativ entgegenblickende Büste machen deutlich, dass es sich hier nicht um einen kleinbürgerlichen Haushalt handelt. Dieses kleinformatige Bildchen ist gleichsam das Schlüsselwerk für die später so erfolgreich verkauften Einzelporträts und Familienbildnisse. Schwingen sah die Möglichkeiten, die in diesem Bildaufbau lagen und bediente sich dessen über viele Jahre hin.
Noch aufschlussreicher für sein Gesamtwerk sind aber die Genre-Szenen des ländlichen Lebens, die einen Zyklus darstellen, der es bei weitem lohnen würde, ihn einmal in der Gesamtschau auszustellen. Leider sind aber auch hier einige Werke z. Zt. verschollen oder in extrem schlechtem Erhaltungszustand, so dass dieses Unterfangen der Zukunft vorbehalten bleiben muss.
Den Anfang der ebenso aufschlussreichen wie schönen Reihe von Bildern soll eine undatierte Arbeit machen: Das „Mädchen am Brunnen" (WVZ 140). Eine junge, hübsche Frau lehnt an einer Brunneneinfassung und schaut den Betrachter ein wenig kokett an. Sie wirkt gleichermaßen neugierig wie skeptisch abwartend ein Kind vom Land, dessen Tracht mit dunklem, besticktem Mieder und goldbesticktem Häubchen oftmals den Anlass geboten hat, für Muffendorf eine Art Winzerinnentracht zu vermuten. Da Schwingen diese Kleidung häufiger dargestellt hat, liegt dies auch nahe. Ein hoher gelber Tonkrug steht neben den Füßen des Mädchens und ist Hinweis darauf, dass sie den Brunnen besucht, um Wasser zu holen. Der Krug ist allerdings so auffällig platziert, dass er wie zum Vorwand mitgenommen wirkt. Vielleicht verbirgt sich auch ein galantes Geheimnis im Bild, denn sie scheint in ihrer dunklen Schürze etwas verborgen zu halten. Nach hinten öffnet sich das Bild in eine sanft geschwungene Hügellandschaft. Die Bäume geben einen kleinen Blick auf einen Steinbruch frei; eine romantische Landschaft, die für ein heimliches Treffen gut geeignet ist.
Ein weiteres Mal malt Schwingen eine junge Frau in Tracht, das Bild ist ebenfalls nicht datiert: „Die Strickerin" (WVZ 46). Auch hier hat Schwingen wieder eine kleine Momentaufnahme geschaffen, die man auf seinen Heimatort Muffendorf beziehen möchte. Das junge Mädchen sitzt mit einem Strickstrumpf in den Händen vertieft in seine Arbeit und scheint ganz gefangen von der Tätigkeit. Nähe und intime Wirkung des Bildes lassen auf ein anonymes Porträt schließen, auch das Gesicht entspricht nicht einem Typus, sondern ist individuell geschnitten. Dass es sich hier um eine ländliche Szene handelt, hat Schwingen anhand nur eines kleinen Details deutlich gemacht. In der schadhaften Wand im Hintergrund des Bildes sieht man einen grob geschmiedeten Nagel, der wie zufällig dem Auge noch eine kleine Attraktion bietet und den Hintergrund des Bildes abschließt. Auch diese kleinen Kunstgriffe heben Schwingens Bilder über die Masse der biedermeierlichen Bilderproduzenten hinaus.
Schwingens früheste datierte Genreszene ist die „Vesperzeit am Sonntag" (WVZ 29) von 1837. Als Vierundzwanzigjähriger malte er diese technisch und thematisch ausgereifte Szene, die ebenfalls in ländlicher Umgebung spielt. Der Haushalt der beiden Alten gehört zu den wohl situierten, wie die liebevoll geschilderte Ausstattung des Raumes anschaulich macht. Ein bescheidener Wohlstand herrscht im Hause, die Dröppelmina auf dem Tisch wartet auf den Sonntag-nachmittäglichen Einsatz, Steinzeugtöpfe stehen herum, der Betrachter weiß, es kann sich nur um eine Szene handeln, die irgendwo im Rheinischen oder Bergischen anzusiedeln ist. Dieses Lokalkolorit bleibt zeitlebens ein Kennzeichen zahlreicher Arbeiten Schwingens. Rechts, ein wenig im Hintergrund, sitzt eine alte Frau und hält eine Kaffeemühle zwischen den Knien. Sie dreht das Mahlwerk, das man in der Stille des Nachmittags zu hören glaubt. Ihr Mann sitzt in einem Ohrensessel am Fenster und liest konzentriert in einem alten Buch, das mit Metallbeschlägen ausgestattet ist. Die Füße stecken in Filzgaloschen bis heute unverändertes Kennzeichen für den Müßiggang am Feierabend oder am Wochenende. Das Buch hat einen besonderen Wert. Wie die geöffnete Tür des Wandschranks zeigt, birgt dieser offensichtlich die wenigen Schätze des Hauses. Ein alter Bronzemörser teilt sich den Schrank mit einem Dokument und einigen alten Büchern. Zwischen den Alten scheint ein sprachloses Einvernehmen zu bestehen, ein ruhiger Sonntagnachmittag, eine Idylle, wie Schwingen sie vielleicht aus seiner Kindheit im Dorf gekannt haben mag.
Das Dorf hat ihn in dieser Zeit noch mehrmals zu Bildern inspiriert, wie die „Frau mit Kindern im Torbogen" von 1839 zeigt (WVZ 51). ). Schwingen mag sich einen Zyklus von Bildern des ländlichen Lebens vorgestellt haben, als er sich mit diesen Themen beschäftigte. Auch dieses kleine Bild stellt eine Idylle vor, eine Momentaufnahme des kleinen Glücks, die die Sorgen und Nöte der kleinen Leute auf dem Land ausklammert. Eine junge Bäuerin hält ihr Kleinkind, das soeben eingeschlafen ist, in den Armen. Das zweite Kind sitzt ihr zu Füßen und scheint in ein Spiel versunken. Hühner scharren im Hof, vier Tauben sitzen auf dem Dach und neben der Tür plätschert ein dünner Wasserstrahl in einen Holzeimer. Auch hier platziert Schwingen als Blickfang einen Steinzeugkrug auf der Türschwelle. Der Torbogen gibt den Blick frei auf einen Hohlweg, der in eine Auenlandschaft führt. In weiter Ferne sieht man einen breiten Fluss, auf dem ein großes, weißes Segel zu sehen ist. In Verbindung mit dem rheinischen Steinzeug kann es sich nur um den Rhein handeln. Schwingens Liebe zum Detail erfasst sogar die Schwalbennester unter den Kragbalken des alten Fachwerkhauses. Eine Vorstudie zu diesem Bild, die zunächst nur durch ein Foto von Julius Söhn bekannt war, ist kürzlich aus dem Besitz des weiteren Familienkreises von Schwingen wieder aufgetaucht (WVZ 50).
Im gleichen Jahr befasst sich Schwingen mit einer weiteren ländlichen Szene. Die Darstellung einer Winzerin ist als Vorstudie (WVZ 53), wahrscheinlich zu dem nicht überlieferten Bild „Die Winzerin“ (WVZ 54), erhalten.
Schwingen hat sich zu Beginn der 1840er Jahre mit sozialen Themen zu beschäftigen begonnen. Möglicherweise hat ihn eine tatsächliche Begebenheit zum ersten Bild inspiriert was in der Zeit der großen Lotterien nicht weiter verwunderlich wäre. Der „Lotteriejude" (WVZ 73) ist eines der bedeutenden Schwingen-Bilder, das die kleine überschaubare Welt des Malers reflektiert, das von Figuren lebt, die Schwingen auch in Bildern mit anderen Themen vorgestellt hat. In der Wohnstube des Schmieds hat sich die ganze Familie versammelt, um über das Angebot des reisenden Losverkäufers zu beraten. Der Schmied prüft skeptisch das Angebot, während der Loshändler lebhaft die Vorteile seines Angebotes unterstreicht. Im Hintergrund ist die Schmiede-Werkstatt angedeutet, die Schwingen auch in anderen Bildern gerne als Hintergrundgestaltung verwendete (z. B. im „Martinsabend", auf den noch später eingegangen wird). Die Ausstattung des Wohnraums erinnert entfernt an das Ambiente der „Vesperzeit am Sonntag"; auch hier finden sich Dröppelmina und Steinzeugkrüglein. Zwei Gefäße, die offensichtlich immer dazugehörten. Von diesem Gemälde existieren mindestens zwei Fassungen.
Die Geschichte des Schmieds erfuhr eine Fortsetzung: „Das große Los" (WVZ 74). Der Schmied, überrascht vom unverhofften Glück, hat den Hammer fallengelassen und kann es kaum fassen. Für die Familie tut sich ein warmer Geldregen auf; l .400 Taler Gewinn ruhen in dem Säckchen, das der Bote des Losverkäufers leger über der Schulter trägt. Hier wird der Losverkäufer zum Glücksboten, wie ihn schon die antike Bildtradition kannte. Das weinumrankte Fachwerkhaus und die Kirche mit dem rheinischen Turmhelm machen dem Betrachter auch wieder eindringlich klar, dass die Geschichte in einem kleinen rheinischen Ort spielt.
Um die Sache aber zu einem richtigen Abschluss zu bringen, arbeitet Schwingen ein drittes Bild aus, das vom „Schmaus nach dem Gewinn des großen Loses" (WVZ 76) erzählt. Ein deftiges Fest mit Musik und großer Gesellschaft findet in der Stube des Schmieds statt. Vom Spätsommer bis zum Winter hat der Schmied sein Los soweit verbessert, dass er nun auch die armen Verwandten zum Fest einladen kann. Schwingen schuf ein Bild, in dem viele wunderbare kleine Geschichten vereint sind, es gehört zu den Höhepunkten seines Werkes und ist Zeugnis für eine wohl gelaunte Fabulierkunst des Malers. Der Schmied ist im feinen Gehrock kaum noch wieder zu erkennen, Schnallenschuhe und goldene Uhrkette sind Zeichen des neuen Wohlstands, wobei der Schmied offensichtlich auch nicht die weniger begüterte Familie vergisst, die nach langem Fußmarsch durch Schnee und Eis mit offenen Armen empfangen wird. Der Wein fließt reichlich, spielt im Bild immer wieder eine kleine aber deutliche Rolle: ganz links füllt der Geselle den Wein in Flaschen ab, die zur Kühlung in kaltem Wasser stehen. Schwingen selbst hatte offenbar die Erfahrung, dass der Rheinrotwein gut gekühlt auf den Tisch zu kommen hatte. Ganz rechts am Tisch haben zwei Freunde die Gläser zum Gruß erhoben, wobei das eine sich bedenklich neigt und der Wein sich dem anderen über die Sonntagsjacke ergießt. Offenbar haben beide schon recht tief ins Glas geschaut, wie die rosigen Wangen und roten Nasen verraten. Auch der jüngste Besucher des Fests nutzt die Gelegenheit, als ihm im allgemeinen Begrüßungstrubel niemand Beachtung schenkt, um den guten Wein zu kosten. Ganz heimlich trinkt er die Reste aus dem Glas, wobei er nach dem Vater schielt, sich des verbotenen Tuns bewusst eine amüsante kleine Szene. Ganz im Hintergrund versucht ein junger Mann die Magd von seinen Qualitäten zu überzeugen. Diese scheint hin und her gerissen zwischen der Pflicht, den knusprigen Gänsebraten auf den Tisch zu bringen, und dem Vergnügen des galanten Gesprächs. Die beiden Musikanten untermalen die ganze Szene mit Posaunen- und Geigenmusik. Der eigentliche Gegenstand des Festes, das Los, prangt wie eine Trophäe an der Tür des Wandschränkchens. Der kleine magere Hund im Vordergrund, dessen deutlich hervortretende Rippen ein Zeugnis geben von der ansonsten mageren Kost im Hause, hat natürlich auch ein Stück vom Braten erhalten. Schwingen hat ein frohes ländliches Fest gemalt, das ihn selbst als Mann von tiefgründigem Humor charakterisiert. Es waren die einfachen Dinge des Lebens, die ihm Bildthemen wert waren, und die er in warmen Tönen ohne jedes Pathos darzustellen verstand. Vielleicht waren für Schwingen gute Jahre angebrochen, denn 1844 malte er wiederum ein sehr fröhliches Bild, das ebenfalls aus dem rheinischen Brauchtum heraus lebte: „Das Preisschießen um ein fettes Schwein" (WVZ 78 und 79).
1845 oder 1846 ist es mit der Fröhlichkeit vorbei. Ein bewegendes, dramatisches Bild entsteht, das die Not der ländlichen Bevölkerung, die von der Frühindustrialisierung und ihren sozialen Folgen bedroht war, verdeutlichte: Die Pfändung. Ein Bildthema, das im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts mehrfach interpretiert worden ist. Ausgangspunkt war wohl ein Gemälde David Wilkies mit gleichem Thema, das 1828 durch einen Stich in Deutschland bekannt wurde. Gerade bei den beiden Düsseldorfern Peter Schwingen und Karl Hübner traf das Motiv wohl einen Nerv. Schwingens Pfändung ist ein pathetisches Bild (WVZ 81). Während sich der Handwerker, Gesellen und Kinder dem Unabänderlichen hingeben, versucht die junge Ehefrau auf den Knien liegend, den Gläubiger um Aufschub oder Nachlass zu bitten. Doch der reiche Bürger scheint in keinem Falle gewillt, von seiner Forderung abzuweichen. In diesem Bild, von dem Schwingen mehrere ähnliche Fassungen schuf, fokussierte Schwingen die soziale Situation der Handwerker.
In der zweiten Fassung des Bildes ist das Dramatische der Situation noch ein wenig gesteigert. Indem Schwingen den Alkoven mit dem Vorhang weg lässt, sieht man den Gehilfen, der die wenigen Güter fort trägt, umso deutlicher. Ein weiteres Bild mit ähnlichem Inhalt ist heute verschollen: das nicht versteuerte Brot. Wolfgang Müller von Königswinter, der den Genrebildern Schwingens und der „Tendenzmalerei“ skeptisch gegenüber stand, beschreibt das Bild wie folgt: „ ... Hierher gehört zunächst das nicht verzollte Brod. Dasselbe ist eine derbe Satyre auf die Schlacht- und Mahlsteuer. Wir sehen nämlich in das Thor einer Stadt. Steueraufseher greifen mit brutalem Ausdrucke ein armes Bettelkind auf, das einen Laib Brot für die Familie vorbei trägt, während Jäger, die sich Rehe nachschleppen lassen und die überdies von Wild strotzenden Taschen umgehängt haben, unbefangen und ungehindert, sogar salutiert von den Dienern des Gesetzes vorbeiziehen4
Es waren keine Einzelschicksale, die zu solchen Bildern Anlass gaben, sondern häufig wiederkehrende Geschehnisse, die Schwingen veranlassten, die Stimmung des Vormärz und die daraus resultierenden Ereignisse des Jahres 1848 zu formulieren. Schwingen hatte allerdings keinerlei visionäre Vorstellungen von den politischen Entwicklungen. Diese Werke mit engem politischem Bezug stellten gesellschaftliche Realität dar, nicht überzeichnet, nicht befrachtet mit dem Anspruch auf überzeitliche Bedeutung. Es blieben anekdotische Einzelwerke, die sich in die Reihe der Genrebilder nahtlos einfügen, aber eine stärkere Politisierung des Autors signalisierten, die gleichwohl aber mit der Weltanschauung seiner zahlreichen bürgerlichen Auftraggeber zu vereinbaren war.
Das zeitlich folgende Genrebild „Die Weinlaube" (WVZ 104) wendet sich dann auch wieder den erfreulicheren Dingen des Lebens zu. Dargestellt ist eine Weinprobe vor dem Kelterhaus. Der Weingutsbesitzer, gekennzeichnet durch Gehrock und Zylinder, schaut kritisch, ob der neue Wein auch klar und von guter Farbe ist. Links vorne im Bild sitzt ein kleiner Junge rittlings auf einem kleinen Fass, dahinter steht der Kellermeister, der seinen Wein anpreist. Im Hintergrund sieht man die riesige Spindel der Weinpresse, davor drei kleine Mädchen, die gerade mit dem Knecht zanken, der ihnen eine lange Nase zeigt. Schwingen rahmt die ganze Szene durch einen Torbogen ein, um den sich Weinreben ranken. Die Blätter haben sich schon verfärbt, so dass die nächste Lese vor der Tür steht, und der Vorjahreswein unbedingt abgefüllt werden muss, damit eine ausreichende Anzahl von Fässern für den neuen Wein zur Verfügung steht. Das Bild entstand als Auftrag eines Düsseldorfer Weingutsbesitzes und Hoteliers.
Das letzte Genregemälde Schwingens nimmt ein Thema auf, dem er sich bereits 1837 gewidmet hatte. Die „Vesperzeit am Sonntag" (WVZ 29) wird 1862 zu einem „Beschaulichen Lebensabend" (WVZ 126). Das späte Werk ist in der Formulierung von Einzelheiten konsequenter, wenn auch im Bildaufbau und in der Größe nahezu identisch mit dem frühen Gemälde. Schwingen versetzt die Szene in eine kleinbäuerliche Umgebung, die einfacheren Ausstattungsstücke lassen alles bescheidener wirken. Der Ohrensessel, möglicherweise ein Möbelstück, das Schwingen über viele Jahre begleitet hat, wird allerdings unverändert übernommen, wohingegen der Tisch nun kein spätbarockes Prunkstück, sondern ein einfacher Holztisch ist. Zwei Bilder, die zeigen, dass Schwingen sich und seinen Bildthemen über 25 Jahre treu geblieben ist. Das Bild macht aber auch deutlich, dass Schwingen früh seinen Stil gefunden hatte und offensichtlich keinen Anlass sah, ihn zu verändern. Seine Bilder haben ihm ein auskömmliches, wenn auch nicht allzu üppiges Dasein gesichert, was er dem Markt zu bieten hatte, fand seine Käufer.
Dies gilt in besonderem Maße für die Darstellungen des Martinsabends. Ein Thema, das Schwingen vielfach variierte und das seine Kinderbilder besonders ins Blickfeld führt.
Die Reihe der Kinderbilder führen zwei undatierte Arbeiten an. Fotokopien von alten Abbildungen zeigen jedoch, dass Schwingen das Thema Kind und Hund faszinierte. Das erste Bild zeigt ein kleines Mädchen, mit langer Schürze und Häubchen bekleidet, das auf einer Treppenstufe stehend ins Gespräch mit dem Hofhund vertieft scheint (WVZ 139). Eine Szene, wie sie typisch ist für das dörfliche Leben und die Zuneigung zwischen Kind und Hund. Dieses kleine Bildchen ist 2018 bei Karbstein in Düsseldorf versteigert worden. Ebenso schildert das nächste Bild eine kleine Anekdote aus dem Leben eines Bauernkindes. Von der Müdigkeit übermannt, hat sich ein kleiner Junge in die Hundehütte zurückgezogen, den Kopf auf den Rücken des angeketteten Wachhundes gebettet, und ist tief eingeschlafen (WVZ 109). Die Holzschuhe sind ihm von den Füßen gefallen, der Mund steht im Schlaf weit offen, und nur der Hund bewacht aufmerksam den Schlaf seines kleinen Herren. Der Hund lässt sich nicht einmal durch ein eifrig pickendes Huhn ablenken. Beschirmt wird die ganze Szene von einem ausladenden Holunderstrauch, dessen Blüten auf einen Frühlingstag hinweisen. In einer zweiten Version dieses Themas wird der schlafende Junge vom Bauern des Hofes überrascht (WVZ 108). Sie wurde 2001 im Kunsthandel angeboten und ist heute in Privatbesitz.
Diese kleinen Dorfidyllen werden ergänzt durch ein 1842 entstandenes Bild, das drei Kinder mit Hund zeigt (WVZ 71). „Die Kinder pflegen ihren kranken Hund“ eine alltägliche Begebenheit, wie alle Kinder sie schon einmal erlebt haben. Der kleine Hund wird zum Gegenstand ernster Sorge, wenn er einmal einen Tag fastet oder weniger lebhaft als an anderen Tag ist. So lässt der Hund denn, hin- und her gerissen zwischen echter Freude über die Zuwendung und dem Wunsch, sich den Kindern entziehen zu können, alles mit sich geschehen. Er erträgt die liebevolle Zwangsfütterung, solange er sich nur der Aufmerksamkeit der Kinder sicher ist. Auch hier deuten Brunnen und Holunderbusch auf eine dörfliche Umgebung hin. Schwingen mag sich an Begebenheiten aus seinen Kindertagen in Muffendorf erinnert haben und mit leiser Wehmut, gepaart mit feinem Humor, diese Kinderbilder als Beschwörung einer glücklichen Kindheit gemalt haben.
Das Gemälde „Mädchen und Katze" (WVZ 91) ist ein weiterer Hinweis darauf, wie stark Schwingen offenbar von seiner Kindheit im Dorf geprägt war. Die Diele eines alten Fachwerkhauses ist die Kulisse für die Szene. Das kleine Mädchen hat sich den Stuhl ans Fenster gerückt und strickt einen bunten Schal. Der Eifer, mit dem sie bei der Sache ist, steht ihr ins Gesicht geschrieben, und auch die Katze, die ihr Gesellschaft leistet und mit dem Wollknäuel spielt, lenkt sie nicht ab. Für den Stuhl ist sie eigentlich noch zu klein, aber dass die Füße über dem Boden baumeln, scheint sie nicht zu stören. Mit Ausstattungsdetails ist Schwingen hier sparsam umgegangen, nur die Gläser auf dem Wandschrank und der Bierkrug an der Wand geben einen dezenten Hinweis darauf, dass das Mädchen vielleicht eine Wirtsstube zu betreuen hat, und sich die Wartezeit mit dem Stricken des bunten Schals verkürzt. Eine kleine Szene, die Ruhe und kindliches Glück ausstrahlt. Ganz ähnlich aufgefasst ist auch das Bild „Kind mit Taube, Huhn und Katze" (WVZ 107), das noch einmal die Qualität der Kinderbilder Schwingens unterstreicht.
Aber nicht nur die Genreszenen weisen Schwingen als liebevollen Erzähler einer Kinderwelt aus. An seinen Kinderporträts offenbart sich besonders die Qualität seiner Malerei. Ein Bildnis eines kleinen Mädchens, das bisher nur aus dem Bildarchiv Söhn bekannt war, ist ein besonders schönes Beispiel (WVZ 140). Ein etwa vierjähriges Mädchen trägt einen kleinen geflochtenen Korb am Arm und es pflückt Blumen, die es liebevoll in diesem Körbchen sammelt. Es hat seine Aufmerksamkeit gerade einem Fuchsienstock zugewandt und hält eine Blüte zwischen den Fingern. Die üppigen Weinreben im Hintergrund und die blühenden Fuchsien bilden einen Kontrast zum zarten, hellen Kleid des Mädchens. Eine Kette aus dunklen Korallenperlen deutet an, dass dieses Kind nicht aus der kleinbäuerlichen Umgebung der Kindheit Schwingens stammt. Dieses Gemälde tauchte 2018 im Kunsthandel auf. Hier folgen einige Informationen dazu:
Dieses Gemälde war uns nur durch ein altes Schwarzweissfoto aus dem Archiv Söhn bekannt. Wie sich nun herausstellt, war das Foto seitenverkehrt abgezogen. Das Gemälde ist signiert und datiert (1849).
Es zeigt ein kleines Mädchen mit blaugrauen Augen und blonden Löckchen, das mit einem weissen Musselinkleidchen, einer Korallenperlenkette und einem Blumenkörbchen geschmückt ist. Das Kind steht vor einer altertümlichen Backsteinmauer, die von Weinlaub umrankt ist, und auf einer steinernen Konsole steht ein Blumenstock im Topf. Eine Fuchsie.
Im Blumenkörbchen, das das Kind am linken Arm trägt, befinden sich einige Blüten von Gartenblumen und auch Blüten der Fuchsie. Ein hübsches Sammelsurium, das den kindlichen Eifer und die Freude an den Blüten ausdrückt. Das kleine Mädchen hält mit der rechten Hand noch eine Blüte der Fuchsie umfasst und scheint mit seinem Blick zu fragen, ob es diese Blüte wohl auch noch haben dürfte?
Was hat es mit der Fuchsie auf sich ? Und wer ist das kleine Mädchen? Auf dem Gemälde oder dem Rahmen findet sich kein schriftlicher Hinweis. Andere Dokumente dazu haben sich bisher nicht gefunden, mit Ausnahme des alten Fotoabzuges.
Das Kind ist geschätzte vier Jahre alt, und Schwingen hat sein ganzes Können, sehr viel liebevolle Zugewandtheit und Detailgenauigkeit in dieses Bild hineingelegt. Die Datierung „1849“ kann aber einen Hinweis liefern. Schwingens zweites Töchterchen, Johanna Elisabeth Hubertina (Amalie) genannt Malchen, war 1845 geboren worden. Sie war im Jahr 1849 die einzige lebende Tochter Schwingens und um diese Zeit etwa vier Jahre alt. Das leuchtend grüne Weinlaub und das zarte, duftige Kleidchen deuten daraufhin, dass das Gemälde im Sommer des Jahres 1849 entstanden sein dürfte, vielleicht zum Geburtstag des Kindes, am 13. August.
Schwingen hatte 1843 bereits seine erste Tochter, die 1837 geborene Caroline Philippine, verloren. 1848 verstarb seine erste Frau, so dass es ihm sicherlich ein Bedürfnis gewesen dürfte, sein jüngstes Kind, auch als Erinnerung an seine Frau, in einem recht großen Format zu porträtieren. Das Gemälde hat die Maße 60 H x 51 B cm, für ein privates Kinderbildnis eine stattliche Größe. Malchen wurde später die Schwiegermutter des Düsseldorfer Hoffotografen Julius Söhn, der in den 1930er Jahren ein erstes Fotoarchiv mit Arbeiten Schwingens angelegt hatte. Auch daher ist es gut möglich, dass es sich bei dem Gemälde um Schwingens Tochter Malchen handelt.
Schwingen stammte ja aus dem kleinen Weinort Muffendorf und war mit der Landwirtschaft, der Blumen- und Pflanzenwelt durchaus vertraut. Und es ist überliefert, dass er seine Kinder sehr geliebt hat. Diese Liebe zum Kind drückt sich im Gemälde eindeutig aus. Was hat es nun aber mit der Fuchsie auf sich? Die Fuchsie ist eine Pflanze, die aus Süd - und Mittelamerika stammt und daher erst in der Neuzeit nach Europa kam. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie zu einer sehr beliebten Zierpflanze, es entstand geradezu eine Fuchsienmode, die mit der Tulpenmanie in den Niederlanden im 17. Jahrhundert zu vergleichen war, wenn sie auch nicht derart finanziell desaströse Folgen zeitigte. So gibt Schwingens Gemälde nicht nur durch die Datierung einen Hinweis auf die Entstehungszeit.
Vielleicht gab es aber auch, jenseits der familiären Beweggründe, noch einen sehr handfesten Grund für Schwingen, ein so aufwendiges Kinderbildnis zu schaffen?
Es wäre immerhin denkbar, dass er für das Gemälde, das er von den drei Kindern des Ernst Eugen de Weerth schaffen sollte, zunächst eine Arbeitsprobe zu liefern hatte. Dieses Kinderbildnis der drei de Weerth-Kinder Ernst Arthur, Clara und Karl Arthur gehört mit zu den Hauptwerken Schwingens und ist von grosser Qualität. Die Kinder auf dem de Weerth-Gemälde (WVZ Nr. 115) sind etwa fünf, vier und zwei Jahre alt. Das heisst, das de Weerth-Gemälde müsste 1850 geschaffen sein worden. Also eindeutig nach dem Mädchen mit weissem Kleid und Fuchsie.
Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Mädchen auf den beiden Gemälden besteht ja auch nicht nur im gleichen Halsschmuck, der Korallenkette, sondern auch die runden, rosigen Wangen weisen darauf hin, dass Schwingen sich mit dem Porträt seiner Tochter Malchen auf den Auftrag der Familie de Weerth so erfolgreich vorbereitet haben könnte, dass er den Auftrag tatsächlich erhielt.
Und nicht zuletzt verweist das Blumenkörbchen des Mädchens auf den schönen Spruch „So schön wie im Blumenkorb liegt Muffendorf“, von dem allerdings nicht bekannt ist, ob der Spruch bereits zu Schwingens Lebzeiten geläufig war. Auch ein familiärer Anlass könnte Schwingen dazu veranlasst haben, einen Hinweis auf Muffendorf im Gemälde unterzubringen. 1849 verstarb seine Großmutter Gertrud Nicolai, Schwingen soll bei der Beerdigung zugegen gewesen sein. Und das sei auch sein letzter Aufenthalt in Muffendorf gewesen.
Auch dieses jetzt wieder aufgetauchte Gemälde gibt Zeugnis von der großen Kunstfertigkeit Peter Schwingens.
Stilistisch in enger Beziehung zu diesem Bild steht auch eine nicht signierte Arbeit, die bereits von Holzhausen Schwingen zugeschrieben wurde.5 Es handelt sich um die drei Kinder von Ernst Eugen de Weerth (WVZ 127). Schwingen schuf auch hier ein lebendiges Bild, das den Kindern Ernst, Clara und Arthur einen kleinen Hund als Begleiter zugesellt. Der Junge im karierten Kleid bietet dem Hund ein Stückchen rheinisches Schwarzbrot an, ohne das Tier damit aber sonderlich locken zu können. Hund und Kind ein Thema, das Schwingen so häufig malte, vereinte er hier zu einem reizvollen Familienbild.
Bisher nur aus dem Fotoarchiv Söhn, jetzt aber auch als Original im Familienbesitz, ist ein Kinderporträt bekannt, das einen kleinen Jungen zeigt (WVZ 93). Ein fröhliches Kind mit blondem Haar und einem Grübchen am Kinn. Das Format des Bildes ist fast quadratisch, auf Dekorationen hat Schwingen hier völlig verzichtet. Nur der weiße kleine Hemdkragen ist schmückendes Beiwerk. Ein handschriftlicher Zusatz auf dem Söhn-Foto nennt als Dargestellten Hubert Philipp Schwingen, das dritte Kind Schwingens aus erster Ehe. Da dieses Kind 1842 geboren wurde und hier als etwa Sechsjähriger dargestellt ist, muss das Bild um 1848 entstanden sein.
Ein besonders schönes Kinderbildnis schuf Schwingen im Jahr 1858. Das „Mädchen in Weiß" (WVZ 120) zeigt ein etwa sechs- bis achtjähriges Mädchen, dessen große dunkle Augen einen exotischen Eindruck hervorrufen. Die langen dunklen Haare sind streng aus der Stirn zurückgekämmt und am Hinterkopf in einem Netz zu einem großen Knoten zusammen gefasst. Ein goldener Anhänger am Ohr schmückt das Kind, dessen weißes Kleid in reizvollem Gegensatz steht zu dem dunklen Haar. Es ist nicht überliefert, ob es sich um ein konkretes Porträt und Auftragswerk handelt, oder ob Schwingen das Mädchen allein wegen seiner faszinierenden Ausstrahlung gemalt hat. Aus dem Jahr 1862 ist das Bildnis eines Knaben erhalten, der im Samtanzug sonntäglich herausgeputzt dem Maler Modell gestanden hat (WVZ 125). Ein Degen an der Seite und die kleinen roten Korallenknöpfe am Kragen und an den Manschetten lockern die strenge Komposition auf. Im Hintergrund erscheint eine großblättrige Zimmerpflanze, deren Stängel mit einer roten Schleife, die das Rot der Zierknöpfe aufnimmt, zusammengebunden sind. Es ist bisher nicht bekannt, welchen Knaben das Bild darstellt, doch weisen Bezüge über die Besitzergeschichte wieder auf eine bergische Fabrikantenfamilie hin.
Das mit Sicherheit erfolgreichste Bildthema Schwingens ist der Martinsabend. Wie schon die Anzahl der heute nachzuweisenden Bilder erkennen lässt, muss es sich hierbei um ein im Rheinischen äußerst beliebtes Thema gehandelt haben. Allein sieben Bilder mit dem Titel „Martinsabend" in unterschiedlichen Fassungen haben sich erhalten bzw. sind nachweisbar. Es sind durchweg kleinformatige Arbeiten, von denen allerdings ein eigenartiger Zauber ausgeht. Die runden Kindergesichter leuchten mit den Martinslaternen um die Wette. Neben Weihnachten ist im Rheinland das Martinsfest das schönste Kinderfest im ganzen Jahr. Kleine und größere Kinder ziehen gemeinsam durch die Straßen und singen Lieder, die den Hl. Martin ehren und die, die am Wegesrand wohnen, an seine Mildtätigkeit erinnern sollen. So kommt denn manche gute Gabe zusammen bei der Mahnung: „ ... hier wohnt ein reicher Mann, der vieles geben kann ...". Schwingen schildert hier ein für das Rheinland sehr typisches Fest, das mit seinen Laternen aus Kürbissen und Rüben, mit seinen Feuern und den Bettelzügen der Kinder eng verbunden ist mit der Legende des Hl. Martin von Tours und mit den altgermanischen Bräuchen des Herbstfestes. Gerade das Martinsfest, das einen der ältesten Patrone rheinischer Kirchen ehrt, verbindet heidnisches und christliches Brauchtum besonders offensichtlich miteinander.
Im Hintergrund anderer Fassungen des „Martinsabends“ ist eine Schmiede mit rötlich glühendem Widerschein des Feuers auf den Wänden zu sehen. Die Kinder haben Kerzen in ihren ausgehöhlten Rüben angezündet und freuen sich an dem Lichterschein (WVZ 19, 20). Im Zentrum des Bildes steht ein junge Frau, ihr Kleinkind auf dem Arm. Liebevoller hat kaum ein Maler rheinisches Brauchtum illustriert. Mit kleinen Änderungen in Details hat Schwingen dieses Thema immer wieder variiert, dabei sind einige Versionen bemerkenswert, weil sie vedutenartig z.B. den Turm der St. Lambertuskirche oder das Jan Wellem Denkmal in Düsseldorf (WVZ 21, 24) erkennen lassen. Gerade die Darstellung des Jan Wellem Denkmals lässt Schwingens humorvoll-ironische Ader zur Geltung kommen: Die barocke Statue Herzog Johann Wilhelms II. von Jülich-Berg, Kurfürst von der Pfalz, wohl das Hauptwerk des Hofbildhauers Gabriel de Grupello, erfährt bei Schwingen eine erstaunliche Wandlung. Aus dem stolzen Vollblüter wird ein plumpes Pony. Nicht nur die gedrungene Figur verrät dies, sondern auch die Haltung der Beine. Das Pferd ist im Passgang dargestellt, und diese Gangart beherrschen nur Kleinpferde. Ein lustiges Bildchen, das Schwingen wahrscheinlich für eines seiner Kinder gemalt hat. Der Martinsabend war so erfolgreich und die Nachfrage offenbar so groß, dass eine Radierung nach einem Schwingen-Motiv aufgelegt wurde (WVZ 97).
Die Bilder beweisen, dass Schwingen ein großer Freund der Kinder gewesen ist. Manche Anekdote über sein Leben mit den eigenen Kindern mag daher ein Körnchen Wahrheit enthalten. Eine besonders schöne Geschichte soll hier kurz wiedergegeben werden. Es wird heute noch in seinem Geburtsort Muffendorf, einem kleinen Fachwerkdorf bei Bad Godesberg, erzählt, dass Schwingens Kinder in einem von einem Ziegenbock gezogenen Wägelchen durch die Straßen Düsseldorfs fuhren. Nebenher schritt ein stolzer Papa, der sich wohl unter den Düsseldorfer Malern als ein rheinisches Original erwiesen hatte. Aber auch diese Hinwendung zum Kind ist typisch für das 19. Jahrhundert, das man zu Recht als das Zeitalter der Entdeckung der Kindheit bezeichnen darf. Bis weit in das späte 18. Jahrhundert hinein wurden Kleinkinder eben wie kleine Erwachsene behandelt. Erst die frühen Romane (ab 1780) und die Veröffentlichung des Gesamtwerkes von Johann Heinrich Pestalozzi zwischen 1819 und 1826 änderte etwas an der Erziehungspraxis. Das wache und liebevolle Interesse Schwingens an Kindern wird in zahlreichen seiner Bilder deutlich. Seine Kinderbildnisse gehören sicherlich zum Besten, was dieses Genre hervorgebracht hat. Er malt die Kinder gleichsam als wertvolle Schätze, als fröhliche kleine Persönlichkeiten, in denen sich in besonderem Maße für den Gläubigen die Gottähnlichkeit des Menschen darstellt. Schwingen ist der Maler der rheinischen Seele geworden.
Aus der Studienzeit an der Düsseldorfer Akademie in den dreißiger Jahren sind zwei Schülerarbeiten Schwingens erhalten. Eine farbige Zeichnung nach einem Musketier des 17. Jahrhunderts, die eine Bewegungs- und Kostümstudie darstellt, hat Schwingen mit dem Zusatz versehen: „Ist Durindan nicht hier?" (WVZ 10). Wahrscheinlich handelt es sich um eine Szene aus einem der damals in Düsseldorf sehr populären Werke von Ariost. Eine andere frühe Arbeit zeigt einen Kreuzritter vor einer mittelalterlichen Burg (WVZ 13). Beide Blätter beweisen aber, dass die Bildthemen der Akademie Schwingen nur wenig zu faszinieren vermochten. Die Zeichnungen wirken hölzern und wenig ambitioniert. Er wandte sich ab von den heroischen Figuren der akademischen Malerei, hin zu den kleinen Szenen des alltäglichen Lebens seiner Zeit. Er malte nach seiner Akademiezeit, was er selbst beobachtet hatte, was ihm aus seiner Kinderzeit im Dorf noch vertraut war. Was ihm als selbstverständlich im Miteinander des täglichen Lebens vorkam.
Schwingen gehörte zu den Malern, die sich in ihrem Leben mehrfach selbst porträtierten. So kennen wir Schwingen als jungen Mann, als reifen Herren und als alternden Künstler am Ende seines Lebens.
Ein frühes Bildnis, das Schwingen als etwa Zwanzigjährigen zeigt, ist seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verschollen. Aber auch hier hat das Foto-Archiv Söhn wertvolle Hinweise geliefert. Das Porträt war unsachgemäß gelagert worden, Bruchkanten zeigen deutlich, dass es zusammengefaltet lange Zeit deponiert gewesen ist. Zwei Zustandsfotos vor und nach der Restaurierung zeigen einen sensiblen jungen Mann mit ernstem Blick (WVZ 3). Ganz typisch für Schwingens Porträts ist der dunkle Rock und der düstere Hintergrund, aus dem das Gesicht hervorleuchtet. Der kleine weiße Kragen schafft den Übergang zwischen Rock und Gesicht und hebt die zarten Züge gut hervor.
Ein weiteres Selbstporträt muss einige Zeit später entstanden sein. Es zeigt Schwingen bereits mit dem Ansatz einer hohen Stirn, geschmückt mit einer schönen Schleife. Dieses Bild lässt sich bisher nur durch ein in der Tagespresse veröffentlichtes Foto nachweisen, der Verbleib ist bis heute ungeklärt (WVZ 16). Etwa um die gleiche Zeit ist ein drittes Selbstbildnis entstanden, das Schwingen nach rechts gewandt zeigt. Haartracht und Kleidung entsprechen der Kleidung der Bürgerschicht gegen Mitte der 1830er Jahre (WVZ 17). Auch der Verbleib dieses Bildes ist nicht geklärt. Aus dem Jahr 1837 hat sich eine Kopie nach einem Selbstporträt Schwingens erhalten: Er hat sich mit einem breitkrempigen hellen Filzhut bekleidet dargestellt. Ein dünner Bart ziert sein Gesicht (WVZ 25).
Einige Jahre später, vielleicht in den Vierziger Jahren, hat Schwingen sich wiederum selbst gemalt. Diesmal erscheint er als reifer Mann mit Bart und goldener Hemdnadel (WVZ 82). Das Bild ist zwar signiert und datiert, doch ist die so aufschlussreiche Jahreszahl nicht leserlich. Dennoch weist das Porträt Schwingen als bescheiden wohlhabenden Mann aus, der offensichtlich in Düsseldorf sein Glück gemacht hat. Dann bricht die Reihe der Selbstporträts zunächst ab. Ein unvollendetes Bild, das daher ins Jahr 1863 datiert wird, soll zugleich das letzte Bild Schwingens und gleichsam ein Vermächtnis sein. Die skizzenhafte Ausführung legt den Schluss nahe, dass Schwingen hier vieles, was ihm im Leben bedeutsam gewesen ist, zusammen fasste, um vor sich selbst und der Nachwelt Rechenschaft abzulegen. Offensichtlich war es ihm nicht vergönnt, das Bild zu vollenden (WVZ 145). Manche Details lassen sich nicht entschlüsseln, so wie das Bild auf der Staffelei, dessen Inhalt nicht zu erkennen ist. Anderes dagegen schien ihm wohl so wichtig, dass es auch in diesem frühen Stadium der Malerei schon sorgfältig ausformuliert war. Schwingen stellte sich und seine Frau im Atelier dar. Sie beugt sich sorgenvoll über ihn und hält seine Hand die Innigkeit dieser Verbindung wird damit unterstrichen. Schwingen sitzt am Tisch und hält den Kopf in die Linke gestützt. Den barocken Tisch kennt man von anderen Bildern als Atelierausstattung: so von der „Vesperzeit am Sonntage" aus dem Jahr 1837 (WVZ 29) und aus der „Pfändung" (WVZ 81). Um den Tisch herum sind die Dinge gruppiert, die dem Künstler offensichtlich viel bedeuteten: gegen den Tisch gelehnt steht eine Gitarre, was darauf hin deutet, dass Schwingen auch der Musik sehr zugetan war. Im Hintergrund, mit wenigen Strichen angedeutet, steht ein Globus, der möglicherweise auf Träume von weiten Reisen in ferne Länder hindeutet. Soweit bekannt, ist Schwingen aber niemals über das Rheinland und das Bergische Land hinaus gereist. An der Wand hängen eine Büchse und ein grüner Filzhut, beides deutet auf eine Leidenschaft hin, die Schwingen aus seinem Heimatort mitgebracht haben dürfte: die Beteiligung an der Jagd und das Sportschießen. Eines seiner Bilder, das „Preisschießen um ein fettes Schwein" (WVZ 78, 79), hat diesen, wohl recht beliebten Sport beschrieben. Vater Schwingen hatte als Feldhüter die Jagdpacht des Freiherrn von Fürstenberg zu bewachen und Wilderer fern zu halten. Ihn selbst und seine Söhne können wir uns gut als Treiber bei den Jagden der Adeligen vorstellen. Gegen Ende seines Lebens sah Schwingen offenbar die Notwendigkeit, ein Schlüsselbild über sich selbst zu verfassen, das der Nachwelt und damit auch seinen Kindern die Möglichkeit bieten sollte, sich ein Bild über den Maler Schwingen, seine Träume und sein Wesen, zu machen.
Schwingens Hauptwerk entstand in einer Zeit, die sozial engagierte Kunstwerke von Weltgeltung hervorgebracht hat. Die Beschäftigung mit den kleinen Leuten, mit den vom Schicksal wenig begünstigten Mitgliedern der unteren Schichten wurde im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts geradezu zur Mode.
1837 schuf Albert Lortzing seine Oper „Zar und Zimmermann" und nahm damit die Frage des sozialen Status auf. Nur ein Jahr später erschien in England Charles Dickens Roman „Oliver Twist", der zum Synonym für sozial kritische Literatur geworden ist. Dickens selbst hatte nach dem Bankrott des väterlichen Geschäfts einige Jahre lang bittere Not gelitten und als Kind in einer Fabrik für Schuhcreme arbeiten müssen. Soziales Elend war ihm ein Begriff, den er aus direkter Anschauung kannte. In Mitteleuropa verschlimmerte sich die Situation besonders nach 1845. Missernten trieben die Brotpreise in die Höhe; 1848 kam es zur Revolution. Politische sowie soziale Umwälzungen betrafen auch das Rheinland und wurden von den Malern der Düsseldorfer Malerschule aufgenommen.
Peter Schwingen gehört zu einer Gruppe von Düsseldorfern Malern, deren Hauptinteresse dem Genre und dem Porträt galt. Das Genrebild als „freie Kunst", das Porträt als „Brotkunst". Zu dieser Gruppe der politisch interessierten rheinischen Genremaler sind vor allem der mit Schwingen befreundete Johann Peter Hasenclever, ferner Wilhelm Joseph Heine, Karl Hübner, Adolf Schroedter, Henry Ritter und Ludwig Knaus zu zählen.
Man kann daher Schwingen in Teilen seines Werkes zu Recht als „sozialen Tendenzmaler" erkennen.6 Doch erschöpfen sich seine Bilder nicht in der „Elendsmalerei". Liebevolle Szenen des ländlichen Lebens bleiben als positive Themen bestehen. Hier drängt sich auch der Vergleich mit einem Zeitgenossen Schwingens auf: Carl Spitzweg (1808 - 1885, München). Spitzwegs wohl berühmtestes Werk, wenn nicht sogar das berühmteste Werk des Biedermeiers überhaupt, sein „Armer Poet", den er in drei Varianten malte, entstand 1839. Mit bissiger Ironie schildert Spitzweg die Lebensumgebung eines Poeten, der sich hochtrabend mit klassischem Versmaß auseinandersetzt, gleichzeitig aber eine schäbige Dachkammer bewohnt, die schlecht beheizt und dazu noch vom Regenwasser bedroht ist. Die Unvereinbarkeit von großem Anspruch und schäbiger Lebensrealität, die sicher auch das Leben zahlreicher Malerkollegen prägte, blieb lange Zeit unverstanden, und dies machte das Bild zur vollkommen missverstandenen Ikone biedermeierlicher Malerei. Zu dieser ironischen, bitterbösen Betrachtungsweise dessen, der seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird, hat es Schwingen nie gebracht. Seine Art die Dinge zu betrachten, war eher eine liebevolle, aus rheinischem Humor geborene heitere Sichtweise, die niemanden zynisch vorführen wollte.
Die stille Zurückhaltung seiner Bilder, die Beschäftigung mit den kleinen Themen seiner Umgebung kennzeichnet Schwingens Werk. Ein schönes Beispiel hierfür ist das Bild „Stilles Gedenken oder Gebet zweier Kinder am Gedächtsnistage ihres vom Blitz erschlagenen Vaters am Eichenstamme" (WVZ 48, 49). Schwingen gelingt es hier meisterlich, die kindliche Trauer darzustellen. Die Geschwister haben das Kreuz mit einem frischen Blütenkranz geschmückt, das ältere Mädchen hält die Hände zum Gebet gefaltet, das kleinere Kind widmet sich aufmerksam einer Blüte. Es scheint die Trauer des älteren Kindes zu spüren, ohne sich aber recht des Grundes bewusst zu sein. Der Maler hat mit diesem Bild vielleicht auf ein Sprichwort hinweisen wollen. Nicht ohne Grund bildet eine Eiche den Hintergrund für dieses Totengedenken. Eine alte Regel für das Verhalten bei Gewitter besagt: Eichen sollst Du weichen! Diesen Rat hat der vom Blitz erschlagene Vater sicher nicht beherzigt. Mit wenigen Details entwickelt Schwingen hier wieder eine seiner typischen Geschichten. Seine Bilder haben ganz offenkundig einen Erzählcharakter.
Die große Geste, wie sie aus Gustave Courbets „Steineklopfern" spricht, ist nicht Sache der Düsseldorfer Genremaler, sie beschäftigen sich mit den kleinen Dingen, mit den Alltäglichkeiten, ohne sich dabei aber im Kitsch zu verlieren. Auch ihre Ansprüche richten sich auf die Verbesserung der sozialen Lage, sie prangern Ungerechtigkeit und soziales Elend an, sie überhöhen aber ihre Themen nicht. Es gibt keine zu Pathosformeln erstarrten Gesten, es gibt nur den Versuch, durch Objektivität und Genauigkeit zu überzeugen. Die Düsseldorfer Genremaler hatten eine Nische gefunden, die ihnen erlaubte, Malerei und politische Gesinnung unschädlich miteinander zu verbinden. Das ist in der Folge nicht vielen Malern gelungen.
Peter Schwingen hat sich zeitlebens nicht auf ein bestimmtes Genre festgelegt. Sein Werk umfasst, wie der Überblick gezeigt hat, einen weiten Bogen: Porträts, Familienbildnisse, Kinderbilder, ländliche Szenen, soziales Genrebild, die Schilderung des rheinischen Brauchtums und Selbstporträts. Gerade diese Vielfalt machte es in der Vergangenheit schwer, Schwingens Werk einzuordnen. Die meisten seiner Bilder haben einen sehr privaten Charakter, wobei die Kinderbilder und die ländlichen Szenen am meisten über Schwingen verraten. Den Lebensunterhalt für die große Familie sicherten die Bildnisaufträge, sein Herz gehörte aber den Kinderbildern und den Szenen des ländlichen Lebens, die er liebevoll aus formulierte. Ihm ist glaubwürdig eine Synthese aus Romantik und Realismus gelungen, die für die Düsseldorfer Malerschule typisch ist. Schwingen gehört zu den bedeutenden Vertretern seiner Schule. Schon Walter Cohen hatte dies klar erkannt. Offenkundig waren ihm Details zu Schwingens Leben bekannt, die ihm zu der Einschätzung brachten, daß dem Maler zu Lebzeiten schweres Unrecht geschen sei und daß er später nicht eine Würdigung erfahren habe, die seiner Arbeit gerecht wurde.
Es mag Diedrich Schaarschmidts ein Großteil der Verantwortung dafür tragen, daß Schwingen aus der Kunstgeschichte der Düsseldorfer Malerschule herausgeschrieben wurde. Schaarschmiedts frühes Standardwerk von 1902 erwähnt Schwingen unter falschem Namen: Peter Schweigen statt Peter Schwingen. Der Name kommt mehrfach falsch vor, so daß es sich um einen fatalen Fehler des Autors handelt, der sicherlich die bedeutenden Werke Schwingens nicht aus eigener Anschauung kannte.
Welche Rolle Wolfgang Müller von Königswinter für Schwingens Leben und die zeitgenössische Rezeption seiner Arbeiten gespielt haben mag, das bleibt ein Thema, das sich vielleicht in der Zukunft noch klären lassen wird.
1 Hütt 1958/59, S. 389. Der einzige organisierte „Kommunist“ war Gustav Adolf Köttgen, später Sozialdemokrat
2 Kat. München 2004, Kat. Nr. 1449. Hier als bezeichnetes und datiertes Werk Baumgartners.
3 Gagel 1972, S. 121
4 Müller, W. 1854, S. 301.
5 Holzhausen 1964, S. 20.
6 Gagel 1972, S. 125.
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